Ein Wort, das mehr über uns verrät, als uns lieb istEine gezeichnete Arabeske mit verschnörkelten, ineinander verwobenen Formen in Schwarzweiß, daneben ein stilisiertes Vierhaar mit Stift, das auf das Muster zeigt.

Neulich stolperte ich wieder darüber. Eine kleine Meldung, schnell zusammengetippt, schnell konsumiert:
„Bei einer Explosion wurde ein Familienvater schwer verletzt.“
Zack – da war es wieder. Dieses Wort. Familienvater.

Ich blieb hängen. Nicht an der Tragödie (die für sich natürlich schlimm genug ist), sondern an diesem einen Zusatz: Familienvater.
Warum reicht es nicht, einfach Vater oder Mann zu sagen?
Warum muss betont werden, dass dieser Mensch Teil einer Familie war?
Und warum, verdammt nochmal, gibt es nie eine Familienmutter?

Sprache verrät mehr, als wir denken

Wenn wir genau hinschauen, erzählt uns dieses kleine Wort eine große Geschichte.
Eine Geschichte davon, was in unserer Gesellschaft als besonders tragisch, besonders schützenswert oder besonders normal gilt.
Ein Mann – einfach so, ohne Kontext – wirkt in der öffentlichen Wahrnehmung oft unvollständig.
Erst als Familienvater bekommt er den Heiligenschein von Verantwortung, Liebe und Verlustfähigkeit verpasst.
Erst dann ist seine Verletzung nicht einfach nur ein Unfall, sondern eine Tragödie.

Frauen brauchen dieses Extra-Schild übrigens nicht.
Mütter sind immer automatisch „Familienmütter“, ob sie wollen oder nicht.
Bei ihnen wird das Kümmern, Sorgen, Verbundensein einfach mitgedacht.
Und genau da liegt die Schieflage:
Unsere Sprache macht Unterschiede, wo es keine geben sollte.

Woher kommt dieser Reflex?

Kurz gesagt: aus einer Mischung aus Medienlogik und alten Rollenbildern.
Medien wollen Emotionen erzeugen – schnell und ohne viele Worte.
Und das Wort „Familienvater“ öffnet zuverlässig ein Kopfkino: da sind kleine Kinder, da ist eine Familie, da ist Leid, das größer erscheint als bei einem „einfachen Mann“.
Dass diese Bilder alte gesellschaftliche Muster bedienen, scheint dabei nebensächlich. Hauptsache, es klickt sich gut.

Was wäre eigentlich so schlimm daran, einfach nur „Mann“ oder „Vater“ zu sagen?

Gar nichts.
Im Gegenteil: Es würde Menschen als Menschen zeigen, ohne sie auf Rollen festzulegen.
Ohne die stille Botschaft, dass erst Verantwortung für andere ein Leben besonders wertvoll oder besonders traurig macht.
Und es würde endlich diese unausgesprochene Wertung beenden, dass Männer erst durch Familie „komplett“ werden und Frauen sowieso nichts anderes sind als Familie.

Ein kleiner Wunsch zum Schluss

Ich wünsche mir, dass wir Wörter wie „Familienvater“ einmal bewusst auf der Zunge zergehen lassen.
Dass wir spüren, was sie alles mitschleppen.
Und dass wir manchmal, wenn wir solche Begriffe lesen oder hören, ein inneres Stirnrunzeln erlauben.
Kein empörtes Fass aufmachen – sondern ein leises, klares:
„Moment mal.“

Denn manchmal beginnt Veränderung genau da:
Bei einem kleinen, scharfen Gedanken, der sich wie eine Arabeske durch unser Denken windet.

PS:
Vielleicht brauchen wir nicht immer neue Wörter.
Vielleicht brauchen wir einfach ein bisschen mehr Aufmerksamkeit für die alten.

Mein kleines Buch „Einfacher wird es nicht (aber vielleicht schöner)“ ist ein Herzensprojekt – voller humorvoller Gedanken und mit ganz vielen Vierhaaren, die mit ihren Impulsen zur Leichtigkeit im Alltag anregen. Wenn Du neugierig bist, wie die kleinen Dinge manchmal große Veränderungen bringen, schau gerne rein! Hier ist die Geschichte hinter dem Buch.

Hier geht’s zum Buch auf Amazon!