Manchmal braucht es nur eine kleine Situation im Alltag, um eine ganze Kette von Gedanken auszulösen. So ging es mir bei einem morgendlichen Spaziergang mit meiner Hündin Pucki, einem 14,5 Jahre alten Zwergpudel. Pucki hat schon einiges hinter sich: Sie ist herzkrank, fast taub, sehbehindert und trägt den Schatten eines Traumas mit sich, wenn es um Jack Russell Terrier geht. Und genau mit einem solchen Exemplar kreuzten sich an diesem Tag unsere Wege.
Pucki verkrampfte sich sofort, der Stress war ihr anzusehen. Also nahm ich sie behutsam auf den Arm, um ihr ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Ich wusste, dass das genau das Richtige für sie war. Doch kaum hatte ich sie hochgehoben, kam der Kommentar der anderen Halterin: „Den Hund auf den Arm nehmen? Das ist ja wohl das Allerletzte!“ Mit dieser einen Bemerkung war der Moment plötzlich geladen. Sie kritisierte nicht nur meine Entscheidung, sondern katastrophisierte sie – das allerletzte, schlimmer geht’s wohl kaum. Ich bedankte mich nicht unironisch für ihren Kommentar und ging weiter.
Diese Begegnung brachte mich ins Grübeln: Warum urteilen wir so schnell über andere? Warum meinen wir, ungefragt Ratschläge geben zu müssen, und warum tendieren wir zur Übertreibung, wenn wir die Entscheidungen anderer nicht verstehen?
Ungefragte Ratschläge – ein Spiegel der eigenen Überzeugungen
Ungefragte Ratschläge sind oft nichts anderes als Projektionen der eigenen Ansichten und Werte. Die andere Hundehalterin glaubte vermutlich, dass es Pucki „nicht gut tut“, auf den Arm genommen zu werden. Doch was für ihren Hund passt, muss für Pucki noch lange nicht das Richtige sein. Menschen neigen dazu, ihre eigenen Maßstäbe und Erfahrungen auf andere zu übertragen – oft ohne zu hinterfragen, ob diese Übertragung gerechtfertigt ist. Manchmal sagen ungefragte Ratschläge also mehr über den Ratgebenden als über die Person, die sie erhält.
Katastrophisierung: Wenn „das Allerletzte“ mehr über den Stresslevel aussagt, als über die Situation
Interessant war auch die Wortwahl der Halterin: „Das ist ja wohl das Allerletzte!“ Diese Formulierung ist ein Beispiel für Katastrophisierung – die Tendenz, harmlose Situationen dramatisch zu überhöhen. Warum passiert das? Oft liegt der Grund in einem eigenen Stresslevel oder inneren Überzeugungen, die so stark sind, dass jede Abweichung davon als „falsch“ und geradezu gefährlich empfunden wird. Dabei hilft es, sich daran zu erinnern, dass wir in den meisten Fällen nur einen winzigen Ausschnitt der Geschichte des anderen kennen. Wer weiß schon, warum ich mich so entschieden habe? Wer weiß schon, dass Pucki in genau dieser Situation tatsächlich Schutz braucht?
Warum Urteile ohne Hintergrundwissen oft nicht gerechtfertigt sind
Ob es um Hundeerziehung geht, um Lebensentscheidungen oder kleine Alltagsmomente: Urteile und Ratschläge ohne Hintergrundwissen sind wie ein Urteil über ein Buch nach dem Lesen einer Seite, ich habe wenig Ahnung vom Rest der Geschichte. Hätten wir einen tieferen Einblick in die Geschichte und die Erfahrungen des anderen, würden wir vieles anders sehen. Puckis Leben ist geprägt von gesundheitlichen Herausforderungen und Ängsten, die für Außenstehende unsichtbar sind. Doch für mich als ihre Halterin sind diese Dinge ganz relevant und prägen meine Entscheidungen.
Wenn wir also das nächste Mal in Versuchung geraten, ungefragt unsere Meinung zu äußern, könnten wir uns fragen: Weiß ich genug über die Situation, um tatsächlich ein Urteil zu fällen? Und noch wichtiger: Wird mein Ratschlag wirklich gebraucht? Gebe ich einen Ratschlag, um der anderen Person einen Mehrwert zu bringen oder weil es mich in den Fingern juckt, meine Meinung in die Welt zu verteilen?
Ungefragte Kommentare und Ratschläge abprallen lassen – ein Akt der Selbstfürsorge
Für mich war die Antwort klar: Ich kenne meine Hündin besser als jeder Außenstehende. Ich weiß, was sie braucht und was ihr in stressigen Momenten hilft. Und deshalb darf ich auf mein Bauchgefühl vertrauen, auch wenn die Welt drumherum andere Vorstellungen hat. Im Leben – ob mit Hund oder ohne – kommt es immer wieder zu Momenten, in denen Menschen ihre Meinungen ungefragt äußern. Solange wir uns nicht verunsichern lassen, sondern auf das hören, was wir für richtig halten, können solche Ratschläge auch einfach an uns abprallen.
Fazit: Dein Hund, deine Entscheidung – und ein kleiner Appell zur Gelassenheit
Am Ende des Tages ist es unser Ziel, das Beste für uns selbst, unsere Lieben und auch unsere Tiere zu tun. Und das bedeutet manchmal auch, ungefragte Ratschläge freundlich zu ignorieren und das Katastrophisieren anderer Menschen mit einem inneren Grinsen zu betrachten. Wir haben unsere eigene Geschichte, und wir sind die besten Experten, um in diesen kleinen Alltagssituationen die Entscheidungen zu treffen, die wirklich zählen – ungeachtet dessen, was andere dazu zu sagen haben.
Und für die anderen gilt: Wenn ich keinen Mehrwert liefern kann, einfach mal den Kommentar herunterschlucken und lieber das Augenmerk auf die Dinge richten, die glücklich machen, als das, was einen vermeintlich auf die Palme bringt.
[…] „Das allerletzte?“ – Warum ungefragte Kommentare viel über dich aussagen […]