
Ich kann ziemlich gut funktionieren. Und ich habe das lange Zeit für eine Tugend gehalten. Eigene Bedürfnisse kann man getrost ignorieren. Die werden überbewertet!
Zuverlässig, belastbar, organisiert, das volle Programm halt. Ich war so gut darin, mich selbst zu übergehen, dass ich es nicht mal mehr bemerkt habe.
Das Problem: Den Preis dafür zahlst du nicht sofort. Sondern später und dann auch noch anders, als man denkt. In Form von Müdigkeit, Gereiztheit, körperlichen Symptomen oder dem Gefühl, irgendwie neben sich zu stehen.
In meiner Arbeit mit Klient:innen begegnet mir das ständig: Menschen, die für andere da sind, aber bei sich selbst aussteigen, sobald es um die eigenen Bedürfnisse geht.
Und ja, auch für mich ist das ein Thema, das nicht einfach „abgehakt“ ist.
Meine Bedürfnisse wahrzunehmen, sie ernst zu nehmen und gut mit meinen Grenzen umzugehen, das ist kein statischer Zustand. Das verändert sich. Es verschiebt sich. Und genau deshalb ist es sinnvoll, regelmäßig innezuhalten und zu reflektieren: Wo stehe ich eigentlich gerade?
Kurzer Exkurs: Was sind eigentlich Bedürfnisse?
Bedürfnisse sind keine Launen. Sie sind die Grundlage dafür, dass ein Mensch stabil, gesund und im Kontakt mit sich selbst leben kann.
Es gibt Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Zugehörigkeit, Autonomie, Wertschätzung und Sinn. Diese sind universell. Jeder Mensch braucht sie in unterschiedlicher Ausprägung.
Daneben gibt es individuelle Bedürfnisse, die je nach Lebensphase, Persönlichkeit und Situation unterschiedlich stark auftreten: das Bedürfnis nach Rückzug, nach Klarheit, nach Kreativität oder auch nach Veränderung, diese Liste lässt sich noch ganz lange fortsetzen.
Bedürfnisse zeigen an, was du in deinem Leben brauchst, nicht, weil du anspruchsvoll bist, sondern weil du ein Mensch bist.
Sich darum zu kümmern ist keine Schwäche. Es ist ein Akt von Selbstfürsorge.
1. Du funktionierst, aber du fühlst nichts mehr
Du hast einen gut gefüllten Kalender, du bist verlässlich, du bekommst alles irgendwie geregelt. Nur du selbst kommst darin nicht mehr vor. Du läufst, aber du bist nicht mehr in Verbindung mit dir selbst.
Das passiert nicht über Nacht. Sondern schleichend, indem du dich nach und nach verlierst, während du versuchst, allem gerecht zu werden. Irgendwann spürst du zwar noch, wenn andere etwas brauchen, aber schon lange nicht mehr, was du selbst brauchst.
Frage an dich:
Was tust du regelmäßig, obwohl du innerlich längst ausgestiegen bist?
2. Dein Körper meldet sich, weil du es nicht tust
Schlafstörungen, Rückenschmerzen, Dauerverspannung, ständige Erschöpfung. Das sind keine Zufälle. Und auch keine Alterserscheinungen. Dein Körper ist oft das erste System, das reagiert, wenn du dich dauerhaft übergehst. Schmerz ist der Wunsch des Körpers nach Veränderung, sagte mir mal ein Physiotherapeut.
Dein Körper schickt Signale und wenn du sie ignorierst, wird er lauter. Irgendwann geht nichts mehr.
Frage an dich:
Worauf weist dich dein Körper gerade hin und was willst du vielleicht nicht hören?
3. Du bist für alle da und stehst selbst am Rand
Du hilfst, du springst ein, du machst mit. Und irgendwann wunderst du dich, warum niemand mal fragt, wie es dir geht. Dabei hast du es genau so vorgelebt: Dass du immer klarkommst. Dass du nichts brauchst.
Das ist kein Vorwurf. Es ist einfach ein Muster, das oft aus alten Rollenbildern stammt. Aber wenn du dich dauerhaft aus dem Spiel nimmst, wird dich auch niemand mehr einladen, mitzuspielen.
Frage an dich:
Was würde passieren, wenn du heute einfach mal Nein sagst?
4. Du hältst Bedürfnislosigkeit für Reife
„Ich will keinen Aufwand machen.“, „Ich komme schon klar.“, „Ich brauche das nicht.“
Sätze wie diese klingen bescheiden. Sie klingen stark. Aber manchmal sind sie ein Zeichen dafür, dass du dir selbst nicht viel zugestehst. Oder dir eingeredet hast, dass es besser ist, nichts zu wollen.
Bedürfnisse zu haben, ist nicht kindisch. Es ist normal.
Sie zu kennen, zu benennen und ihnen Raum zu geben, das ist erwachsen und reif.
Frage an dich:
Was würdest du dir erlauben zu brauchen, wenn niemand etwas dazu sagen würde?
5. Deine Stimmung kippt und du verstehst nicht, warum
Plötzliche Gereiztheit, Zynismus, Rückzug, ein generelles „alles ist mir zu viel“. Klingt wie Stress, ist allerdings oft ein Hinweis auf etwas Tieferes.
Wenn deine Bedürfnisse dauerhaft keine Rolle spielen, bleibt das nicht ohne Folgen. Unterdrücktes meldet sich. Nicht immer als klarer Gedanke, oft als Stimmung, die dich selbst überrascht.
Und ja, es kann auch passieren, dass du andere anpflaumst, obwohl du eigentlich selbst Nähe, Pause oder Raum brauchst.
Frage an dich:
Welche Stimmung in dir verweist auf ein Bedürfnis, das du zu lange ignoriert hast?
Fazit: Du bist nicht zu viel, du bist zu oft zu wenig bei dir
Sich selbst zu beachten ist keine Luxusaufgabe. Es ist die Grundlage dafür, dauerhaft gesund, klar und innerlich wach zu bleiben.
Wenn du merkst, dass sich gerade vieles verschiebt – in dir, um dich herum – dann nimm das ernst. Nicht dramatisch, aber aufmerksam. Es lohnt sich, regelmäßig hinzuschauen, was gerade wichtig ist. Und was vielleicht zu kurz kommt.
Manchmal reicht schon eine halbe Stunde ruhiges Sitzen mit einem Notizbuch oder ein Zentangle.
Und manchmal hilft ein gutes Gespräch – zum Sortieren, zum Wiederanknüpfen, zum Perspektivwechsel.
„Einfacher wird es nicht (aber vielleicht schöner)“ ist ein Buch mit Gedanken aus dem echten Leben – pointiert, manchmal schräg, manchmal ernst. Und natürlich mit den Vierhaaren, die das alles aufs Wesentliche runterbrechen. Es geht um das, was uns beschäftigt, ohne dass wir immer drüber sprechen. Um Alltag, Zweifel und die Frage, wie man dem Leben mit ein bisschen mehr Klarheit begegnet.
Wenn dich interessiert, wie das Buch entstanden ist – ganz ohne Plan, aber mit viel Sturheit – dann kommt hier die Geschichte dahinter: Einfacher wird es nicht (aber vielleicht schöner): Wie mein Skript den Weg aus der Schublade fand – und nicht zurückdurfte



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