Gezeichnete Figur „Vierhaar“ mit vier geschwungenen Haarsträhnen, weißem Kleid und leicht errötetem Gesichtsausdruck. Sie hält lächelnd eine große gelbe Rosette mit der Aufschrift „wow“ in der Hand, als humorvolle Anspielung auf eine erhaltene Auszeichnung.

Verliehen für korrektes Ankreuzen von Kästchen

Eine kleine Betrachtung zur käuflichen Fairness

Ich habe Post bekommen. Herzlichen Glückwunsch, hieß es. Mein Unternehmen sei ausgezeichnet worden: fair, nachhaltig, wertvoll. Geprüft, mehrstufig. Wissenschaftlich begleitet. Das Ganze vom Deutschen Innovationsinstitut, das klingt nach großer Sache. Die Botschaft: Ich bin gut. Richtig gut sogar. Und das ist jetzt offiziell.

Obwohl ich mit dem Ergebnis gerechnet habe, fühlte ich mich geschmeichelt
Für genau dreieinhalb Minuten.

Dann las ich weiter.

Die Auszeichnung ist kostenlos, stand da. Nur wenn ich das Siegel auch nutzen möchte, auf meiner Website, in meiner Signatur, an meinem Badezimmer-Spiegel vielleicht, dann kostet das etwas. Eine Lizenzgebühr. Pro Jahr. Staffelpreise nach Größe.
In meinem Fall: 1.100 Euro.

Also 1.100 Euro dafür, dass ich das Logo eines erfundenen Siegels öffentlich zeigen darf, das mir ein Institut verliehen hat, das wiederum eine Ausgründung eines Netzwerks ist, das „Impulse für die Wirtschaft“ liefern möchte. Oder so ähnlich.

Fünf Fragen bis zur Auszeichnung

Natürlich war da auch ein Prüfprozess. Ich musste ein Formular ausfüllen; fünf Fragen, glaube ich.
Wie fair ich mit Mitarbeitenden umgehe. Ob es bei mir Weiterbildung gibt. Ob ich nachhaltig arbeite.
Ich beantwortete alles nach bestem Wissen und Gewissen, aber auch mit einem gewissen Eigeninteresse, denn ganz im Sinne der Forschung, wollte ich wissen: Was passiert dann.
Und dann passierte … erstmal nichts.
Zwei Wochen lang.

Ich stellte mir vor, wie meine Antworten durch Gremien gingen. Vielleicht mit PowerPoint-Präsentation:

Fall 4721 – Coaching-Praxis aus Hannover. Sehr sympathisch. Arbeitet genderneutral, keine Angestellten. Empfehlung: auszeichnen.
Applaus. Unterschrift. Siegel frei.

Siegelpflicht oder Selbstdarstellung?

Natürlich weiß ich, wie das Spiel funktioniert. Siegel signalisieren Sicherheit. Orientierung. Haltung.
In Zeiten, in denen die Startseite einer Praxis innerhalb von 0,3 Sekunden gescannt und bewertet wird, kann so ein Qualitätssiegel der entscheidende kleine Glanzpunkt sein.

Nur: Was sagt es wirklich aus?
Dass ich fair bin, aber nur, wenn ich dafür zahle?

Wie fair ist das?

Der Wert von Anerkennung

Ich habe nichts gegen Qualitätssicherung. Im Gegenteil. Ich bin Coachin. Weiterbildung findet permanent statt. Ich reflektiere und frage mich regelmäßig: Passt das noch? Wo übersehe ich blinde Flecken? Was ist verantwortungsvoll? Was ist nur Routine?

Aber das hier, das ist etwas anderes.
Das ist: marktgerechte Moral.

  • Ein Siegel, das Fairness zertifiziert, aber erst mit dem Zahlungseingang gültig ist.
  • Eine Urkunde für Haltung, mit beigelegter Rechnung.
  • Ein Vertrauenszeichen im Abonnement.

Lizenzierte Glaubwürdigkeit

Ich frage mich, wie das wohl weitergeht.
Kommt demnächst ein Empathie-Upgrade für 499 € pro Quartal?
Oder ein „Level-3-Mitgefühl“-Badge für Fortgeschrittene?
Ein Nachhaltigkeitssiegel mit KI-basiertem Greenwashing-Simulator?
Inklusive Webinar: „So emotionalisieren Sie Ihre CO₂-Bilanz in 5 Schritten.“

Vielleicht schreibe ich dem Institut zurück.
„Vielen Dank für die Auszeichnung. Ich fühle mich sehr gesehen“.
Dann werde ich werde mir das Siegel ausdrucken und an die Wand hängen, ganz analog, ganz ohne Lizenz.
Denn: Fairness zeigt sich im Tun, nicht im PNG.

Und ja: Ich bin ausgezeichnet.

Nur eben nicht zertifiziert. Und das ist auch gut so.

Disclaimer: Dieser Text beschreibt meine persönliche Erfahrung und Meinung zum Qualitätssiegel „Fairness First“. Er ist satirisch gefärbt und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Hast du auch schon mal eine Auszeichnung bekommen, die dich leicht ratlos zurückgelassen hat?
Dann erzähl mir davon. Ich hab auch Urkundenpapier zu Hause.

Claudia Stellmacher-Köthe, Coachin und Hypnose-Spezialistin

„Einfacher wird es nicht (aber vielleicht schöner)“ ist ein Buch mit Gedanken aus dem echten Leben – pointiert, manchmal schräg, manchmal ernst. Und natürlich mit den Vierhaaren, die das alles aufs Wesentliche runterbrechen. Es geht um das, was uns beschäftigt, ohne dass wir immer drüber sprechen. Um Alltag, Zweifel und die Frage, wie man dem Leben mit ein bisschen mehr Klarheit begegnet.

Wenn dich interessiert, wie das Buch entstanden ist – ganz ohne Plan, aber mit viel Sturheit – dann kommt hier die Geschichte dahinter: Einfacher wird es nicht (aber vielleicht schöner): Wie mein Skript den Weg aus der Schublade fand – und nicht zurückdurfte

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